Objektiv Dezentrierung - Testen

Leider weisen viele Objektive Fertigungstoleranzen auf, die dazu führen, dass eine Seite des Fotos schärfer als die andere abgebildet wird. Wenn solch eine Dezentrierung zu stark ausgeprägt ist, sind Fotos mit diesem Objektiv aufgrund der deutlich sichtbaren Unschärfe in vielen Fällen unbrauchbar. In diesem Artikel zeige ich, wie man Objektive ganz einfach selbst auf Dezentrierung testen kann.

Meine eigenen Erfahrungen mit Dezentrierung

Auf meiner ersten USA Reise stand ich früh morgens am berühmten Horseshoe Bend und habe mein Stativ mitsamt Kamera aufgebaut. Als Objektiv kam an dem Morgen ein extra angeschafftes Ultraweitwinkelobjektiv zum Einsatz, um die unglaubliche Weite der Szene festzuhalten. Zu Sonnenaufgang begann der Himmel in den schönsten Farben zu leuchten. Eine einzigartige Stimmung, die ich auch nach drei weiteren Besuchen an dieser Location nicht mehr erlebt habe. Nach der Reise folgte beim Sichten der Fotos jedoch der Schock: Sämtliche Fotos waren auf einer Seite deutlich unschärfer als auf der anderen. Und das, obwohl ich den Fokus richtig eingestellt und mehrmals überprüft habe.

Beispiel für eine leichte Dezentrierung auf der rechten Bildseite (Vergleich linker Bildrand, Bildmitte, rechter Bildrand)
Beispiel für eine leichte Dezentrierung auf der rechten Bildseite (Vergleich linker Bildrand, Bildmitte, rechter Bildrand)

Als ich das Objektiv daraufhin genauer untersucht habe, ist mir die Dezentrierung auch auf anderen Fotos aufgefallen. Damit mir so etwas nicht noch einmal passiert, teste ich meine neuen Objektive vor dem Kauf immer auf Dezentrierung. Den bei jedem Exemplar eines Objektivs sind Dezentrierungen anders und unterschiedlich stark ausgeprägt.

Allgemeines zur Dezentrierung von Objektiven

Moderne Objektive sind hochkomplexe Präzisionsinstrumente. Die vielen Linsen in einem Objektiv müssen millimetergenau ausgerichtet sein, damit beide Bildseiten gleich scharf abgebildet werden. Und auch der Sensor der Kamera muss exakt ausgerichtet sein. Aus physikalischen und wirtschaftlichen Gründen ist das jedoch kaum realisierbar. Daher lassen die Hersteller gewisse Fertigungstoleranzen zu, was auch völlig in Ordnung ist. Meiner Ansicht nach dürfen die Fertigungstoleranzen (Dezentrierung) jedoch nicht zu stark ausgeprägt sein. Denn spätestens, wenn eine Dezentrierung auch bei kleineren Ausdrucken auffällt, ist das Objektiv meiner Meinung nach nicht brauchbar. Eine Dezentrierung kann schon direkt nach der Herstellung vorliegen oder durch eine Beschädigung hervorgerufen werden (z.B. durch einen Sturz). Viele Hersteller können Dezentrierungen bei einer Reparatur korrigieren. Allerdings ist die zugelassene Toleranz einer solchen “Justage” teilweise sehr groß.

Objektive auf Dezentrierung testen

Ein Test auf Dezentrierung kann von jedem selbst Zuhause durchgeführt werden. Man nimmt einfach zwei Fotos auf, bei dem das gleiche Referenzobjekt einmal an dem linken und dem rechten Bildrand platziert wird. Danach vergleicht man die Schärfe des Referenzobjektes auf beiden Seiten. Je größer der Unterschied der Schärfe ist, desto stärker ist die Dezentrierung bei dem Objektiv ausgeprägt. Damit der Test aussagekräftig ist und keine Fehler das Testergebnis verfälschen, sollte man sich genau an folgenden Testablauf halten.

Dezentrierung Testfotos
Dezentrierung Testfotos

Testablauf zur Erkennung von Objektiv Dezentrierungen


  1. Ein Referenzobjekt in der Landschaft zum Vergleichen auswählen - Zum Vergleich der Schärfe der beiden Bildseiten eignen sich besonders Objekte mit feinen Strukturen wie zum Beispiel Strommasten, Ziegeldächer oder große Uhren und Schriftzüge. Bei Blättern, Ästen und anderen beweglichen Objekten kann Wind das Testergebnis verfälschen. Für Weitwinkelobjektive sollte der Abstand zum Referenzobjekt mindestens 100m und für Teleobjektive mindestens 1000m betragen. Die Lichtsituation sollte während des Tests gleichbleiben. Am besten eignet sich für den Test daher ein wolkenfreier sonniger Tag.
  2. Kamera auf Stativ montieren und Aufnahmeeinstellungen anpassen
    • Die zu testende Brennweite einstellen.
    • Kamera so ausrichten, dass das Referenzobjekt in der Bildmitte liegt. Nun darauf fokussieren und danach den Fokus auf manuell einstellen.
    • Manueller Aufnahmemodus, Blende zwischen Minimum und 8, ISO 100, Belichtungszeit auf ausgewogene Belichtung einstellen.
    • Da mit einem Stativ gearbeitet wird, muss für die bestmögliche Schärfe der Bildstabilisator ausgeschaltet werden. Beim Aufnehmen der Fotos sollte man zudem einen Fernauslöser benutzen oder 2 Sekunden Wartezeit einstellen und bei DSLRs zusätzlich die Spiegelvorauslösung aktivieren.
  3. Testfotos aufnehmen - Ein Foto aufnehmen bei dem das Referenzobjekt genau in der Mitte liegt. Danach insgesamt vier Fotos mit dem Referenzobjekt in den Ecken oder je ein Foto mit dem Referenzobjekt an jeder Seite (vertikale Mitte) aufnehmen. Bei allen Aufnahmen sollte die Kamera genau mit der Wasserwaage ausgerichtet werden.
  4. Testfotos vergleichen - Die Fotos in einem Bildbearbeitungsprogramm der Wahl öffnen (dabei Chromatische Aberrationen korrigieren) und die Schärfe des Referenzobjektes vergleichen.

Bei Zoom Objektiven sollte man unterschiedliche Brennweiten testen. Zum Beispiel die Brennweiten 24mm, 35mm, 70mm und 105mm für ein 24-105mm Objektiv. Es kann durchaus vorkommen, dass eine Dezentrierung nur in bestimmten Brennweitenbereichen auftritt. Auch kann die Stärke der Dezentrierung schwanken oder in einem bestimmten Brennweitenbereich auf einer anderen Seite vorliegen. Je kleiner die Blende eingestellt wird und je höher die Sensorauflösung ist, desto eher ist eine Dezentrierung sichtbar. Ich teste meine Objektive jedoch meistens mit einer Blende über 5.6, da ich fast nie mit Offenblende fotografiere.

Die folgenden Beispiele vergleichen jeweils drei Fotos (Bildrand links, Bildmitte, Bildrand rechts) eines Objektivs bei einer Brennweite.

70mm bei einem 70-200mm f4 Zoom Objektiv (20 MP Vollformat Sensor; Blende 6.3; ISO 100)
70mm bei einem 70-200mm f4 Zoom Objektiv (20 MP Vollformat Sensor; Blende 6.3; ISO 100)

Die beiden Bildseiten sind fast gleich scharf. Wie bei den meisten Objektiven ist die Bildmitte schärfer als die Ränder. Das ist völlig normal.


105mm bei einem 24-105mm f4 Zoom Objektiv (20 MP Vollformat Sensor; Blende 6.3; ISO 100)
105mm bei einem 24-105mm f4 Zoom Objektiv (20 MP Vollformat Sensor; Blende 6.3; ISO 100)

Es ist deutlich zu erkennen, dass die rechte Seite unschärfer als die linke Seite ist. Allerdings bewegt sich die Dezentrierung noch in einem akzeptablen Rahmen. Insbesondere, wenn bei allen weiteren Brennweiten dieses Exemplars die Dezentrierung deutlich geringer ausgeprägt ist, würde ich das Objektiv behalten.

In einem weiteren Artikel zeige ich weitere Beispiele zur Dezentrierung bei Objektiven.

Fazit

Es ist völlig verständlich, das Objektive aufgrund der Komplexität nicht 100% zentriert sein können. Ich bin jedoch immer wieder überrascht, was für hohe Fertigungstoleranzen bei der Herstellung zulassen werden. Vor allem bei hochpreisigen Objektiven, die weit über tausend Euro kosten, sollten die zugelassenen Dezentrierungen meiner Meinung nach deutlich geringer ausfallen. Ich teste daher meine Objektive vor Kauf immer auf Dezentrierung. Bis zu welcher Stärke eine Dezentrierung akzeptabel ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Man sollte sich auch klar sein, dass vor allem Zoom-Objektive nicht 100% zentriert sein können.

Kommentare (8)

  • Hans Ochsfelt am März 9, 2021 um 08:13 UhrDer Artikel war wirklich interessant. Hätte nicht gedacht, dass das so enorme Auswirkungen haben kann. Wissen Sie zufällig von welchen Fertigungstoleranzen wir da sprechen? Wieviele µm können es sein?
    Freundlichste Grüße

    • Michael Kirste am März 10, 2021 um 08:26 UhrViele Dank für die Rückmeldung. Wie groß die Fertigungstoleranzen genau ausfallen, kann ich leider nicht sagen. Generell ist es mit hochauflösenden Sensoren möglich immer kleinere Fertigungstoleranzen zu finden.
      Mich stört die Dezentrierung vor allem, wenn diese bereits bei Drucken im A4 Format deutlich sichtbar ist. Meiner Ansicht nach ist solch eine Fertigungstoleranz nicht mehr akzeptabel.

  • Hansi am Juli 9, 2021 um 21:28 UhrHallo, also normalerweise macht man den Test bei Offenblende. Nennt sich "Gletscherbruchtest".
    Beste Grüße

    • Michael Kirste am Juli 10, 2021 um 09:51 Uhr (Webseite) Danke für den Hinweis. Das stimmt, am deutlichsten werden mögliche Dezentrierungen bei Offenblende. Da ich bei der Landschaftsfotografie fast immer zwischen Blende 11 und 16 fotografiere, blende ich leicht ab (z.B. auf Blende 6.3), um praxisrelevante Ergebnisse zu erhalten.

  • Christian am November 18, 2021 um 22:06 UhrHallo Herr Kirste,
    vielen Dank für den überaus hilfreichen Beitrag. Für mich liegt die Toleranzgrenze bei Ausdrucken im 30*45-Format, also etwa A3. Wenn ich bei dieser Ausgabegröße eine wenn auch nur schwache Dezentrierung erkenne, geht das Objektiv zurück.
    Ich habe bei Testaufnahmen bemerkt, dass bei einem leicht dezentrierten Objektiv, das o.g. Toleranzgrenzen erfüllt, die Dejustage in der 100%-Ansicht am Monitor sichtbar geringer ausfällt, wenn der objektiv-interne Bildstabilisator ausgeschaltet ist. Nach ca. 30 Testfotos halte ich das nicht für einen Zufall.
    Diese Beobachtung erscheint auch logisch, da bei aktivem Stabi mindestens eine Linse bewegt wird und somit das gesamte Objektiv je nach Stärke der auszugleichenden Verwackelung mehr oder weniger stark dezentriert wird. Zukünftig schalte ich den Stabi daher nur noch ein, wenn es nötig ist.
    Viele Grüße,
    Christian

    • Michael Kirste am November 20, 2021 um 15:09 Uhr (Webseite) Hallo Christian,
      ich finde es sehr sinnvoll, die eigene Toleranzgrenze an echten Prints und nicht an der 100% Ansicht am Monitor zu prüfen. Ansonsten wird man mit neu angeschafften Objektiven nie glücklich, insbesondere wenn man die Tests mit Kameras mit 50+ Megapixel durchführt.
      Sind die 30 Testfotos mit oder ohne Stativ entstanden? Bei Freihand-Aufnahmen sollte man in diesem Fall abwägen, ob die zusätzliche Dezentrierung oder bessere Stabilisierung stärker ins Gewicht fällt.
      Viele Grüße,
      Michael

    • Christian am November 22, 2021 um 20:56 UhrHallo Michael,
      vielen Dank für das Feedback.
      Die Aufnahmen habe ich bewusst ohne Stativ gemacht, da die betreffende Kamera als Alltags- und Schnappschuss-Gerät nahezu ausschließlich freihändig zum Einsatz kommen wird.
      Mir fiel auf, dass bei Freiluft-Aufnahmen ohne Stabilisator sowohl die Dezentrierung geringfügiger ausfällt und die Bildqualität insgesamt etwas besser ( = schärfer) ist. Den Stabilisator setze ich mit dieser Objektiv-Kamera-Kombination daher nur noch ein, wenn ich mit hohen ISO-Werten in Innenräumen freihändig ohne Blitz arbeiten muss. Hier haben Testfotos gezeigt, dass die Dezentrierung so gut wie gar nicht mehr sichtbar ist, da solche Fotos ohnehin nicht so "knackig" sind, wie Außenaufnahmen mit niedrigen ISO-Werten. Hier bringt der Stabi wieder eine Verbesserung der Bildqualität.
      Viele Grüße,
      Christian

    • Michael Kirste am November 23, 2021 um 17:44 Uhr (Webseite) Danke für deine Rückmeldung. Das ist wirklich interessant. Man sollte den Bildstabilisator bei Freihand-Aufnahmen folglich nur aktivieren, wenn dieser auch wirklich benötigt wird.

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